Längst mehr als eine Notlösung
Sonntagvormittag in der Dietfurter Stadtpfarrkirche St. Ägidius. Während sich die Bankreihen langsam füllen, steigt Oberministrant Nikolaus Köberlein eine lange schmale Treppe hinauf. Der hochgewachsene 23-jährige Zeitsoldat muss den Kopf einziehen, als er durch die niedrige Tür schlüpft, die auf die kaum einen Quadratmeter große Kanzel führt. An der Brüstung befindet sich die Halterung für eine Kamera, die Köberlein mit hochgebracht hat und nun einstöpselt. Er fährt den ebenfalls mitgebrachten Laptop hoch, auf dessen Monitor eine Luftaufnahme der Pfarrkirche erscheint, versehen mit dem Hinweis: „Die Übertragung beginnt in Kürze“. Eine Szene, wie sie sich zur selben Zeit in einigen weiteren Kirchen der Diözese Eichstätt abspielt. Denn über die akute Corona-Zeit hinaus wurde mancherorts der Service beibehalten, Gottesdienste zu übertragen und zu den Gläubigen nach Hause zu bringen. Der Gedenktag des Medien-Patrons Franz von Sales am 24. Januar bietet Anlass, sich bei einigen Verantwortlichen umzuhören.
Anfangs mit dem Handy
Eines ist allen Teams gemeinsam: Zu Beginn der Corona-Zeit, als auf einmal kein Gottesdienstbesuch mehr möglich war, wurden sie ins kalte Wasser geworfen. Ohne professionelle Ausstattung mussten sie improvisieren, um Heilige Messen ins Internet zu übertragen. Mittlerweile hat sich viel getan. Ein Handy am Altar zu befestigen, sei, trotz wackeliger Bilder, zu Beginn der Pandemie eine Superidee gewesen, meint etwa der Pfarrer der Neumarkter Hofpfarrei, Stefan Wingen: „Aber jetzt geht das nicht mehr.“ Seine Pfarrei hat in der Corona-Zeit recht zügig beschlossen, ordentlich Geld in die Hand zu nehmen, um Sonntag für Sonntag die Heilige Messe live aus der Hofkirche übertragen zu können: Etwa 20.000 Euro wurden investiert in drei fest installierte Kameras und eine vierte, mobile. Damit lässt sich der Gottesdienst aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Perspektiven erleben. Unterstützung sei dabei anfangs auch vom Innovationsfonds des Bistums gekommen, berichtet der Pfarrer.
Für die Übertragungen auf dem YouTube-Kanal der Hofkirche wird im guten alten Pfarrbrief genauso geworben wie in den sozialen Medien – die nach Wingens Erfahrung längst nicht mehr ausschließlich eine Sache der jungen Generation sind. Seine Minis zum Beispiel, so formuliert er ein wenig überspitzt, benutzten das bekannte Netzwerk Facebook überhaupt nur noch, um mit ihren Großeltern zu kommunizieren. Sie seien längst auf neueren Internet-Kanälen unterwegs. Junge Leute aus der Pfarrei seien auch zur Stelle gewesen, um Senioren den Weg zu den Gottesdienstangeboten im Internet zu weisen, berichtet Wingen: „Oft waren es aber auch Familienangehörige, die dabei halfen.“
Mit Blick auf Menschen, die sich schwer tun, zum Gottesdienst zu kommen, sieht Wingen Live-Übertragungen längst nicht mehr als Notlösung in Pandemiezeiten, „sondern schon als pastoralen Auftrag“. Er denkt dabei auch an Menschen in der Diaspora, die einen weiten Weg bis zur nächsten Heiligen Messe haben. Die Befürchtung, dass Leute allein aus Bequemlichkeit das heimische Wohnzimmer dem Präsenz-Gottesdienst vorziehen, „die teile ich nicht“, sagt Wingen. Vier Mitglieder zählt derzeit das Livestream-Team der Hofkirche. Neben einem jungen Mann, der vor allem für die ebenfalls regelmäßig übertragenen Jugendgottesdienste zuständig ist, sind das drei Herren im besten Alter, die meist zu zweit am Mischpult sitzen. Der Älteste, Thomas Hempel, ist dieser Tage 66 Jahre alt geworden. Ein ganz normales Pfarreimitglied sei er gewesen, erzählt er, ohne Ehrenamt oder besondere Funktion: „Aber ich hatte dem Pfarrer mal gesagt: Wenn ich Rentner bin, gehört ein Tag in der Woche der Kirche.“ Er habe sich zum Beispiel gut vorstellen können, Aushilfsmesner zu werden. Als er dann aber genau zum Beginn der Corona-Zeit aus dem Berufsleben ausschied, sah er seine neue Aufgabe in der Übertragung von Gottesdiensten. Hempel war viele Jahre verantwortlich tätig im Bereich Mobilkommunikation, hat Handys entwickelt, ist mit Digitalfunk bestens vertraut. Deshalb macht es ihm auch Spaß, „als YouTuber das Wort Gottes in der Welt zu verbreiten“.
Dass sich die Arbeit lohnt, sieht er auch an den Nutzerzahlen: „Bei einem normalen Sonntagsgottesdienst hatten wir auf dem Höhepunkt der Corona-Zeit etwa 200 Zuschauerinnen und Zuschauer, jetzt sind es etwa 100.“ Manchmal meldeten sich Leute, die aus Neumarkt stammen und längst weggezogen seien, erzählt er etwa von einem Mann, der jetzt an der Nordsee wohnt und durch die Live-Gottesdienste Anteil am Leben in seiner früheren Pfarrei nimmt. Eine weitere Zielgruppe seien sicher Altenheim-Bewohnerinnen und -Bewohner. Ob sich die Arbeit letztlich lohnt, möchte Hempel aber gar nicht an Zahlen festmachen. „Selbst wenn nur einer oder zwei schauen würden, würde ich es machen“, sagt er: „Es ist ein Weg, Menschen zu erreichen, auch wenn sie nicht in die Kirchen kommen können. Und mir macht es einfach Spaß, auch wenn es manchmal ein bisschen stressig ist. Wenn man zum Beispiel am Osterfeuer draußen noch eine Extra-Kamera aufbauen muss. Aber in so einem Fall sind wir dann auch zu dritt.“
„Heftige“ Spende
Unter den ersten Gemeinden, die in der Corona-Zeit Gottesdienstübertragungen anboten, war die Schwabacher Pfarrei St. Sebald. „Am ersten Tag des Lockdowns kam unser erster Livestream“, sagt Kaplan Sebastian Stanclik: „Keiner von uns hatte vorher so etwas gemacht. Wir haben in der Pfarrei herum-gefragt, Webcams ausgeliehen. Am Anfang war noch alles sehr unprofessionell, dann wurde es immer besser“. Ende Mai 2020 wagte sich das Team mit Unterstützung vieler weiterer Jugendlicher dann sogar an ein Online-Pfingstfestival mit Gebetszeiten und Workshops heran. Im folgenden Jahr gab es eine Neuauflage. Einmal im Monat wird auch ein Gebetsabend der Jugendstelle Schwabach übertragen. Die technische Ausrüstung ist inzwischen dank einer Spendenaktion in der Pfarrei recht gut. „Heftig“ sei es gewesen, wie damals innerhalb einer Woche 5.000 Euro zusammenkamen, freut sich Stanclik noch heute. Von dem Geld „haben wir uns zunächst einen gescheiten Laptop angeschafft, vorher hatten wir meinen benutzt“. Heute gibt es außerdem vier Kameras und ein Videomischpult. Anders als in Neumarkt, ist die Ausrüstung nicht fest verbaut, sondern mobil. Der harte Kern besteht momentan neben dem Kaplan aus sieben Jugendlichen, darunter sechs jungen Frauen. Eine von ihnen ist die 19-jährige Daria Leube. Während der Pandemie, erzählt sie, seien die Gottesdienstübertragungen einer der wenigen festen Termine in ihrer Freizeit gewesen. In dieser Zeit, als kein Sport, keine Gruppenstunden möglich waren, als viele junge Leute in ein Loch gefallen seien, „da war mir das sehr wichtig und es macht mir immer noch sehr viel Spaß“.
Für Kranke und Alte
Natürlich seien die Zugriffszahlen auf den Livestream, der auf der Homepage der Pfarrei unter der Rubrik „St. Sebald Live“ aufgerufen werden kann, nach Ende der Corona-Einschränkungen gesunken, stellt Kaplan Stanclik fest: „Sie haben sich jetzt bei etwa 40 Leuten eingependelt“. Aber das seien immer noch Zahlen, bei denen sich der Aufwand lohne. Für ihn sind die Übertragungen ein Angebot, „das prinzipiell erhalten werden soll, weil es neuen Zugang schafft“. An den Weihnachtsfeiertagen habe ihm ein Mann nach dem Gottesdienst erzählt: „Ich hab gestern den Livestream vom Gottesdienst gesehen und hab mir gedacht, heute gehe ich mal hin.“
Auch der Gedanke an alte und kranke Menschen, die nicht mehr oder vorübergehend nicht zum Gottesdienst können, ist für den Kaplan ein wichtiges Argument. „Vorgestern hatte ich eine Aussegnung“ erzählt er. Nach der Feier sei der ihm unbekannte Enkel der Verstorbenen auf ihn zugekommen und habe ihm im Namen seiner Oma gedankt, dass sie die Gottesdienste daheim verfolgen konnte: „Er hat ihr in den zwei Jahren ihrer Krankheit jedesmal den Laptop hingestellt.“
Über die Pfarrei hinaus
So wie in Schwabach, habe auch in der Ingolstädter Pfarrei Herz Jesu das Übertragen von Gottesdiensten „ganz klein angefangen“, erzählt Sebastian Wild, der dieses Angebot mit vier weiteren jungen Leuten, darunter Diakon Daniel Heinle, regelmäßig stemmt. „Wir starteten mit geliehenem Equipment, haben aber, als wir feststellten, dass das Angebot gut angenommen wird, uns selber eine Ausrüstung angeschafft. Zumal wir während Corona auch Anfragen ausanderen Pfarreien im Dekanat bekommen haben.“
Auch das Livestream-Team von Herz Jesu, allesamt aus dem Kreis ehemaliger oder noch amtierender Ministranten, hat sich bewusst gegen eine fest in der Kirche installierte Kameratechnik entschieden. Die Grundausstattung, finanziert aus Spenden, Zuschüssen vom Innovationsfonds und auch Honoraren aus kleinen filmischen Auftragsarbeiten, passt in ein Auto. Manchmal muss es aber auch ein bisschen mehr sein. So übertrug das Team 2021 einen Pontifikalgottesdienst aus Ingolstadt-Friedrichshofen, „da sind wir mit acht Kameras angerückt“, erzählt Wild. „Neben unseren vier eigenen hatten wir uns welche von Bekannten und von der Pressestelle des Bistums ausgeliehen.“ Mit dieser ergab sich seither so manche Zusammenarbeit: Zuletzt übertrugen Wild und sein Team etwa für das Bistum die diözesane Aussendung der Sternsinger in Herrieden. Auch bei der Einweihung des Holz-Stroh-Hauses der Abtei Plankstetten mit dem bayerischen Ministerpräsidenten arbeiteten sie mit dem Team der bischöflichen Pressestelle zusammen und standen an der Videokamera. „Wir machen das als Ehrenamtliche in der Freizeit und wir haben Spaß daran“, bekräftigt Wild, der als Abteilungsleiter Logistik bei einem großen Elektronikkonzern arbeitet. Ein geplantes größeres Projekt mit dem Bistum hängt damit zusammen, dass Wilds Livestream-Teamkollege, der Student Stefan Eberl, im Frühjahr für eine Weile nach Ghana geht, in die Eichstätter Partnerdiözese: „Der Plan ist, dass hier wie dort gleichzeitig ein gemeinsam gestalteter Gottesdienst gefeiert wird, den wir hin und her übertragen.“
Skepsis ist gewichen
Aber auch auf Pfarreiebene ist das Team noch aktiv. Pfarrer Klaus Meyer „unterstützt uns voll“, freut sich Wild. Generell sei die Skepsis, „dass die Leute fernbleiben könnten und es sich bei einer Tasse Kaffee am Bildschirm gemütlich machen“, gewichen. Inzwischen wird nicht mehr jeder Sonntagsgottesdienst übertragen, wohl aber Firmung, Erstkommunion und natürlich feierliche Gottesdienste an den Höhepunkten des Kirchenjahrs. Während der Übertragung der Sternsingeraussendung in Herz Jesu bestand die Möglichkeit, parallel im Live-Chat Fürbitten zu formulieren, die dann gleich aktuell in den Gottesdienst eingebaut wurden. „Jugendliche wieder heranzuführen an den Glauben mit den ihnen bekannten Medien“, das ist für Wild bei seiner ehrenamtlichen Arbeit ein wichtiges Motiv. Gefragt nach richtig peinlichen Übertragungspannen, muss er passen. Nur das Internet falle immer wieder einmal aus, weil kaum eine Kirche einen eigenen Internet-Anschluss habe.
Auch in der Dietfurter Pfarrkirche St. Ägidius sieht es damit bisher schlecht aus. Vom Pfarrheim aus wurde eine provisorische Internetverbindung zur Kirche gelegt, der Router hängt am Strom der Turmbeleuchtung. Für den Laptop habe es eine großzügige Spende aus der Pfarrei gegeben, berichtet Armin Reinsch. Er ist nicht nur Chorleiter, Organist und Glockensachverständiger in der Pfarrei, sondern auch Ansprechpartner in Sachen Livestream. Vier Oberministranten übernehmen reihum alle Sonntagsgottesdienste. Dass es neben der Präsenzgemeinde noch weitere Mitfeiernde gibt, ist für Pfarrer Armin Heß längst Gewohnheit. So beginnt er seine Ansprachen auch konsequent mit: „Liebe Schwestern und Brüder hier in der Kirche und zu Hause!“
Gabi Gess
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